New Student Accommodation, Somerville College, Oxford - werk, bauen + wohnen
September 2012
Text Rosamund Diamon
Images Nick Kane
Wood As a Garment
Das Wohnhaus für Studierende schafft an einer Nahtstelle des Universitätsgeländes eine neue städtebauliche Situation. Die raumhaltige Konstruktion von Backstein und Holz greift lokale Traditionen auf und stellt gleichzeitig die kategorische Trennung des häuslichen Inneren von dem öffentlichen Äusseren in der Stadt in Frage.
Der Bau des neuen Studentenheims für das Somerville College von Níall McLaughlin fällt in eine bedeutende Entwicklungsphase der Universität Oxford. Auf einem schmalen Grundstück am Rande Somervilles gelegen, das an den Bauplatz eines der grössten Projekte der Universität grenzt, muss es zugleich im Kontext der individuellen Entwicklung des College und in Bezug auf seine Wirkung auf das Wachstum der Universitätsstadt betrachtet werden. Der Neubau des Somerville College unterscheidet sich von anderen aktuellen Erweiterungsbauten, indem sein Entwurf die traditionelle College-Typologie stärkt und zugleich versucht, die Hochschulerweiterung in die vorhandene Morphologie der angrenzenden städtischen Bebauung zu integrieren. Dies geschieht, indem an seiner nördlichen Grenze ein öffentlicher Weg geschaffen wird, den es zuvor nicht gab.
Der schichtige Aufbau seiner Fassaden, der die Materialien Holz und Backstein zusammenführt, ist eine Neuinterpretation der traditionellen College-Gebäudetypologie mit ihrer formell und nüchtern wirkenden Blockrandbebauung, die wenig individuellen Ausdruck zulässt. Unter Verwendung unaufdringlicher Materialien hinterfragt McLaughlins Projekt die offizielle oder private Repräsentation städtischer Institutionen. In Oxford wird Backstein mit der britischen Arts-and- Crafts-Bewegung assoziiert und mit den verspielteren Collegeanlagen des 19. Jahrhunderts wie vor allemdem Entwurf für Keble College von William Butterfield. Holz dagegen wird im städtischen Kontext von Oxford mit den Balkenkonstruktionen der traditionellen Alltagsbauweise in Verbindung gebracht – in der Neuzeit zumindest galt es nicht als Material mit grosser Ausdruckskraft.
Die Bauweise, die für das neue Studentenheim zur Verwendung kam, verabschiedet sich sowohl von der schweren und monolithischen, mit Stein geschmückten Konstruktion historischer College-Bauten, als auch vom Gebrauch expressiver Strukturen, wie sie einige Erweiterungsbauten des College aus den 1950er und 1960er Jahren prägten. Stattdessen ragen aus Holz gefertigte Gebäudeteile, wie etwa die beiden Treppenhaustürme und die Erker der Studentenzimmer als Kombination grösstenteils vorgefertigter, gegenständlicher Teile über die primäre Tragstruktur, ein Rückgrat aus Beton heraus.
In die Stadt eingewoben
Das 1879 als Frauencollege gegründete Somerville liegt an Oxfords nördlichem Stadtrand, weit entfernt von dem verdichteten Muster der College-Komplexe im Stadtzentrum. Die Bebauungsstruktur des Universitätsviertels erscheint hier diffuser und später gebaute Colleges verlieren sich zwischen den angrenzenden Wohngebieten. Die Gebäude von Somerville College folgen morphologisch keinem streng definierten Plan. Ihre untypische Anordnung kommt daher, dass das College ursprünglich in einem einzigen grossen Haus gegründet wurde, an das sich später andere Bauten anlagerten. Der wichtigste Freiraum des Colleges ist der zentrale Garten. Das neue Studentenheim besetzt mit zwei Baukörpern die Grenze zwischen dem Collegegelände und einem nördlich anschliessenden, grossmassstäblichen Universitätsbezirk, der dort anstelle des ehemaligen Radcliffe-Spitals neu am Entstehen ist. Die zwei Neubauten schaffen von Norden her einen neuen Zugang zum College, den die hohen Treppentürme beidseitig einrahmen. Dieser neue Eingang ist auf eine der Hauptalleen des neuen Universitätscampus ausgerichtet, die der aus Uruguay stammende und in den vereinigten Staaten lebende Architekt Rafael Viñoly in Beaux-Arts-Manier angelegt hat, und schafft einen Sichtbezug vom Garten des College nach Norden bis hin zum Radcliffe-Observatorium im Nordosten. Der Bauplatz für den Neubau wurde durch Abbrüche an dieser Grenze geschaffen, entlang der hundert Meter langen, drei- und viergeschossigen Rückwand der Somerville-Bibliothek. Die beiden langen, schmalen Gebäude in McLaughlins Entwurf lehnen sich einbündig an diese Wände an.
Als Schlüsselkomponente ihrer Anbindung an die Stadt öffnen die neuen Gebäude in Richtung Norden eine schmale Gasse, die von einer Hauptverkehrsader der Stadt westwärts zum Aussenbezirk Jericho führt. Als Verbindungsstück zwischen dem offenen Collegegelände und den grossmassstäblichen Blocks des neuen Campus gegenüber wenden sich die Neubauten dieser Gasse zu, wobei der funktionale Charakter des Studentenheims der neuen Strasse ihren Ausdruck verleiht. Die gestaffelten Fassaden sind auf den schrägen Blick von der Gasse hin entworfen – so wird man sie meistens wahrnehmen. Sie geben der neuen Wegstrecke in Anlehnung an die Queen’s Lane im Zentrum von Oxford einen mäandrierenden Charakter.
Der Kern des Gebäudes aus vorgefertigtem Beton, der an der Hauptfassade grösstenteils hinter Backsteinoder Holzflächen verborgen liegt, strukturiert im Inneren den Längskorridor und verankert die Zimmer zwischen den Treppenhaustürmen. Raumhaltige Elemente wie die hölzernen Treppenhaustürme an beiden Enden, die sich über die Dachebene des Gebäudeblocks erheben, und die hölzernen Erker der Studentenzimmer ragen aus der ansonsten linearen Struktur hervor.
Die Merkmale der Bauten greifen auch das Thema reizvoller, erzählerischer Routen auf, entlang denen sich verschiedene visuelle Elemente erst im Laufe der Durchquerung zu erkennen geben und so den Erlebniswert der Strecke erhöhen. In Anlehnung an Nikolaus Pevsners Charakterisierung der historischen Stadt antwortet der Entwurf auf die vorhandene Gestalt Oxfords mit ihren unregelmässigen Hintergassen, die zwischen den Enklaven der Colleges vermitteln. Die Strecke entlang dem Somerville College ist als eine Abfolge von Räumen gestaltet, entlang von vorstehenden Teilen der Fassade, den Türmen und Erkern, wobei die untersten Erker die Gasse anstelle der klassischen Eingangstüren auf der Erdgeschossebene säumen. Mit Anspielung auf Camillo Sittes malerischen Städtebau ziehen diese Holzelemente die Blicke beim Näherkommen von der Gartenseite her auf sich – ähnlich wie der Giebel einer alten Schule oder der Konstantinsbogen der University Press im Westen.
Bruchstückhaft tektonische Bezüge
Während das neue Studentenheim die Nordgrenze von Somerville festigt, stehen seine Anlage und Materialstrategie im Widerspruch zu einigen typischen städtebaulichen Regeln in Oxfords College-Typologie mit ihren formstrengen Strassenfronten und der Orientierung auf innenliegende Höfe und Hintergassen. Durch ihre geschichtete, tektonische Anordnung unterscheiden sich die Neubauten von der typischen Homogenität dieser College-Enklaven ebenso wie von der monolithischen Typologie der neuen Fakultätsgebäude auf der anderen Seite der Gasse, wie dem mathematischen Institut von Rafael Viñoly und der Blavatnik School of Government von Herzog & de Meuron. Die einzelnen Zimmer, die sich als Boxen aus Hartholz zeigen, sind in gemauerte Rahmen eingehängt, die das Volumen gliedern. Sie widersetzen sich den Hierarchien einer traditionellen Tragstruktur ebenso wie dem Prinzip eines Rastersystems mit Rahmen und Füllung, wie es die älteren Studentenheime für Somerville von Arup Associates (1965/68) charakterisiert: Dort tragen Rahmen oder Systeme von Stützen und Trägern die einzelnen Studentenzimmer und die expressive Gesamterscheinung der Volumen beschreibt eine völlig neue Collegearchitektur.
Pragmatischerweise lassen die herausragenden Boxen abgewinkeltes Licht und eine erweiterte Aussicht zu, um das Beste aus ihrer Ausrichtung nach Norden zu machen. Sie greifen die Fenstererker auf, die in Oxfords schmaleren Strassen anzutreffen sind, und spielen somit auf heimische Formen an, während sie gleichzeitig die spezifischen Lebensbedingungen von Studenten abbilden, die, obwohl Teil der städtischen Gemeinschaft, auch von dieser getrennt leben. Die akkurat gearbeiteten Boxen schweben, sie stützen sich nicht auf einen festen Untergrund. Ihre Aussen- und Innenwände bestehen aus Eiche, wobei mehr Aufwand für die äussere Verarbeitung erforderlich war. So wenden sie die traditionelle Holzverkleidung von privilegierten Innenräumen der Colleges nach aussen und stellen dabei die kategorische Trennung des häuslichen Inneren von dem öffentlichen Äusseren in der heutigen Stadt in Frage. Um trotzdem die Privatsphäre zu schützen, weisen sie Fenster mit tiefen Leibungen und Holzjalousien auf, ähnlich wie dies bei den Arbeitskojen in Louis Kahn’s Phillips Exeter Library der Fall ist, wo sich die Beleuchtung für jeden Platz individuell steuern lässt.
Die erhöhten Treppentürme, die von schlanken Backsteinmauern flankiert sind, bestehen aus schmalen Eichenlamellen und -balken, die in freistehende Laternentürme mit einer Panoramaaussicht münden. Das Material der fünfzig Zentimeter tiefen Lamellen aus Holz erinnert in gewisser Weise an die steinernen Fassadenpfeiler, die früher die wuchtigen Universitätsgebäude schmückten.
Die neuen Wohngebäude entziehen sich jener typischen, geschlossen monolithischen Qualität früherer Bauten durch ein geschichtetes tektonisches System, bei dem die Elemente aus Backstein und aus Holz bruchstückhafte Bezüge zur Bauweise von Stadt und College herstellen. Das Konzept setzt dabei Holz gleichermassen zum Ausdruck von institutioneller Repräsentation wie von städtischer Häuslichkeit ein. Mit ihrer untypischen Bauweise nehmen die Gebäude die archaischen Grundelemente auf, die als wiedererkennbare Formen das Strassenbild Oxfords prägen – Turm, Gebäudeblock, Torweg und Fenstererker. Mit der räumlichen Verwendung von Holz antworten sie auf den Kontext der Stadt. Architektonische Fragmente lassen den Block eher wie eine Häuserreihe denn als ein einzelnes Gebäude erscheinen. Die geschlossene Mauer, die typischerweise die Hintergasse der Universität begrenzt hätte, wird durch das lebendige Spiel der hölzernen Erker ersetzt.
Das Bauen mit Holz entspricht hier einer Entwurfsabsicht, die seine Verwendung an einem Gebäude mit öffentlichem und urbanem Charakter rechtfertigt. Sein Einsatz als räumlich mit den gemauerten Bauteilen zusammenspielendes Material lassen das Verhältnis zwischen Konstruktion und Form ambivalent erscheinen. McLaughlins Projekt ist nicht so abstrakt, dass es sich vornehmlich mit Form beschäftigt, doch es isoliert voneinander unabhängige Funktionselemente der modernen Stadt. Auf diese Weise fügen sich die Gebäude in die symbolische Grammatik des Ortes ein und zitieren Themen, die aus dem Ortsbild Oxfords bekannt sind.